Cerro Cuchaín
Cerro Cuchaín – das ist ein „Hügel“ bzw. für mich Berg in der Nähe von Montero. Wer genau auf die Idee kam, dort hinaufzuwandern weiß ich nicht genau. Auf jeden Fall kam von mehreren Seiten der Wunsch auf, eine Tour dahin zu machen und so ließ ich mich überreden, das Ganze zu organisieren. Was uns erwartete, wussten wir glaube ich selber nicht und es war schwierig, etwas Verlässliches über den Weg zu erfahren. Die Angaben reichten von „drei Stunden Autofahrt + zweieinhalb Stunden wandern“ bis „zwei Stunden Autofahrt + 4 Stunden wandern“. Peruaner haben es nicht so mit Zeitangaben, das ist mir bereits aufgefallen. Und wenn eine Zeit festgelegt wird, wird diese eh nicht eingehalten. Und auch wenn ich in der Heimat nicht als Pünktlichkeit in Person bekannt bin, muss ich sagen, dass die Unpünktlichkeit der Peruaner unschlagbar und sehr gewöhnungsbedürftig ist…
Nun ja, zurück zum Cerro Cuchaín. Wir fahren also auf einem vor kurzem erst getrocknetem Schlammweg (wie gesagt, die Regenzeit ist erst zwei bis drei Wochen vorbei) und nach einer halben Stunde heißt es Aussteigen. Anscheinend haben wir also die kurze-Fahrt-lange-Wanderung-Variante gewählt. Vorsichtig frage ich, wie lange wir denn laufen werden. Antwort: zweieinhalb Stunden. Frohen Mutes laufen wir los. Wir, das sind:
Jesse, ein Ami, der mit seiner Familie drei Wochen in Montero ist und alles sehen und kennenlernen möchte.
Alejandro, der einzige, der den Weg zum Cuchaín kennt und mehr Kondition hat als wir restlichen vier zusammen.
Ernesto, vom Centro Runa Peru, einem Behindertenzentrum in Montero.
Sarah, Physiotherapeutin aus England, die für 2 Monate ein Volontariat in Runa Peru macht.
Und ich.
Es geht nur hoch und ich finde es schon nach einer halben Stunde anstrengend. Ich bin aber auch etwas angeschlagen, habe zum zweiten Mal mit meinem Magen zu kämpfen. Nach einer Stunde geht es nicht weiter und Alejandro meint, der Weg würde links weiter gehen. Der Weg? Jetzt verstehe ich, warum er sagte, wir sollten Macheten mitnehmen. Es gibt keinen Weg. Zumindest keinen sichtbaren. Wir sind dieses Jahr die ersten, die nach der Regenzeit hinauflaufen und räumen uns alles frei, was uns den Weg versperrt. Naja, zumindest machen das Alejandro, Jesse und Ernesto – Sarah und ich haben hinterhergeputzt und das Kleinzeug sowie Äste & Co entfernt. Frei nach dem Motto „dritter Baum rechts, zweiter Busch links“ bahnen wir uns einen Weg durch den Urwald. Keine Ahnung, woran er sich orientiert, aber es funktioniert. Zwischendurch gabeln wir noch ein paar Heilblätter auf, die ich zwecks Magenprobleme abends als Tee zu mir nehmen soll…
Nach viereinhalb (!) Stunden kommen wir oben an und werden mit einem unglaublichen Ausblick belohnt!! Wir sind weit oben, über allem, sehen, wie die Wolken sich unter uns um die anderen Berge wickeln und sind selbst kurz in einer Wolke gefangen, bevor sie ganz fix weiterzieht. Alejandro packt Frauenparfum aus und sprüht es munter um sich – um die Wolken zu vertrei
ben. Er sagt, er glaubt nicht daran, ich auch nicht. Er tut es trotzdem und die Wolken verschwinden. Es gibt auch Inkaruinen dort oben, unter anderem eine Art Kalender: Ein halbquadratischer Stein mit einigen Kanälen, die in eine Art Minibrunnen führen. Dort sammelt sich das Regenwasser und bei Vollmond spiegelt sich der Mond in diesem Wasser und verrät etwas über die Erntezeiten. Etwas weiter unten (Richtung Abgrund) gibt es noch mehr solche Steine, aber meine Höhenangst siegt und ich bleibe brav in der für mich sicheren Zone.
Auch schön: Jesse, Ernesto, Sarah und ich kommen vollkommen ko, durstig und hungrig oben an und fangen erstmal mit einem kleinen Mittagssnack und 1l Wasser an. Alejandro hat nix dergleichen mitgebracht. Dafür aber ein tragbares Radio, so dass wir oben einfach mal Salsa- und Cumbiaklängen lauschen. In dieser für mich eigentlich recht mystischen Szene kommt es mir recht paradox vor, für Peruaner glaube ich ist es völlig normal. Musik gehört zum Leben dazu wie Atmen, Trinken oder Essen.
Nach anderthalb Stunden Ausruhen und genießen müssen wir wieder aufbrechen, um vor dem Dunkelwerden unten zu sein. Immerhin sind es dieses Mal nur drei Stunden und schließlich komme ich vollkommen ko, aber glücklich in der Albergue an und falle sofort ins Bett. Buenas nochesJ, geschlafen habe ich in der Nacht unglaublich gut!
Montero
Montero ist eine andere Welt! Ich dachte eigentlich, dass ich Peru schon einigermaßen kenne, aber es ist etwas anderes als die Orte, die ich bisher gesehen habe.
Wie ist Montero? Montero ist ein kleines Dorf, ländlich, mit rund 8000 Einwohnern in einem kleinen Tal und drumherum ist alles (!) grün. Es ist wunderschön! Es liegt im Norden Perus, etwa eine halbe Stunde von der ecuadorianischen Grenze entfernt. Von Piura aus sind es rund 180km landeinwärts, oder auch 3 Stunden mit dem Auto. Die letzte halbe Stunde gibt es keine asphaltierte Straße mehr und der holprige Weg wird oft von Kühen oder Eseln besetzt, die trotz Hupen kein Interesse daran haben aufzustehen. Im Vergleich zu anderen Städten Perus ist Montero ziemlich sauber, es liegt wenig Müll herum und auch im Fluss befindet sich mehr Wasser als Abfall. Auch wenn das Dorf klein und übersichtlich ist, habe ich es am Anfang doch einmal geschafft mich zu verlaufen. Tja, Umwege erhöhen die Ortskenntnis und auf diese Weise habe ich noch ein paar Leute kennengelernt. Mittlerweile kenne ich Montero und Montero kennt mich. Nicht unbedingt meinen Namen, denn der ist hier unaussprechbar, aber ich bin oft da und viele Leute wissen, wer ich bin und was ich mache. In Montero kennt im Prinzip jeder jeden und alle unterstützen sich gegenseitig. Ein Großteil der Monterinos arbeitet in der Landwirtschaft, die Gegend hier eignet sich hervorragend, um Kaffee und Zuckerrohr anzubauen.
Zur Monteriner Tagesordnung gehören auch regelmäßige Stromausfälle. Woran es liegt, weiß ich nicht, aber quasi täglich fällt im ganzen Dorf für eine zeitlang der Strom aus. Tagsüber ist das nicht der Rede wert, aber da bereits gegen 18Uhr die Sonne untergeht und die Stromausfälle gerne in die dunkle Tageszeit fallen, sitzt man oft komplett im Dunkeln da. Man hört nur hier und da einen Hund, ein paar Grillen und die Truthahnfamilie, die im Garten wohnt. Gut, dass ich meine Stirnlampe dabei habe (ein großes Dankeschön in dem Zusammenhang wieder an meine Basketballmannschaft, die sie mir letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatJ). Neben Toilettenpapier ist sie mittlerweile fester Bestandteil meiner Handtasche. Ich teste zurzeit ihre Langlebigkeit und sie hat schon viele Stunden auf dem Buckel. Aber Stromausfälle sind hier kein Problem, es gehört irgendwie dazu, wobei es mittlerweile besser geworden ist.
Die Erntezeit für Kaffee ist zwischen Juni und September, jetzt ist also gerade Hocherntezeit und die Produzenten haben alle Hände voll zu tun. Der Kaffee wird in Montero geerntet und weiterverarbeitet, d.h. geschält, gesäubert und getrocknet. Anschließend wird er in Säcken verpackt und in die Fabrik von Cepicafe nach Piura gebracht. Dort wird er weiter gesäubert und die Schale wird entfernt. So wird er dann erneut verpackt und zum Export in den Hafen von Paita gebracht, der etwa 40 Minuten von Piura entfernt ist. Dort beginnt der lange Seeweg nach Europa, Japan oder in die USA, wo er von dem jeweiligen Importeur empfangen und weiterverarbeitet wird.
Aber zurück zu Montero. Wie schon erwähnt, ist Rohrzucker/Panela das zweite Produkt, das hier angebaut wird. Die Felder befinden sich im Umkreis des Dorfes und sind zu Fuß erreichbar. Die Erntezeit ist zwischen Mai und Dezember/Januar,
hat sich aber aufgrund der starken und langen Regenfälle dieses Jahr verzögert, so dass vor rund drei Wochen erst mit der Ernte und Verarbeitung begonnen werden kann. Rohrzucker wird hier direkt in der Fabrik zu Panela weiter verarbeitet. Das läuft wie folgt ab: Zuerst wird das Zuckerrohr durch eine Pressmaschine gejagt. So wird der Rohrzuckersaft hinaus gepresst und läuft dann weiter in einen Behälter, wo er mit Filtern gesäubert wird. Anschließend wird er in drei Etappen erhitzt bzw. bei 200 Grad für einige Zeit gekocht. Dann kommt er in eine Art Wanne, wo er ständig umgerührt wird. Durch irgendeinen chemischen Prozess kristallisiert der flüssige Rohrzuckersaft und wird trocken und körnig – et voilà: Panela! Es schmeckt ähnlich wie unser normal bekannter Zucker, aber längst nicht so süß, ist sehr gesund und komplett organisch. Es besteht nur aus Rohrzucker ohne weitere Zusatzstoffe. Lecker!
All das gehört auch zu meinem Tourismusprojekt, das von Fairtrade bzw. Cepicafe ausgeht. Man kann als Tourist also den ganzen Weg vom Zuckerrohr, Kaffee oder Kakao, über die Weiterverarbeitung bis hin zum Export kennenlernen. Ich finde es super interessant, denn wer kennt in unseren europäischen Gefilden schon eine Kaffee- oder Zuckerrohrpflanze?!?! Wir haben es jeden Tag morgens in der Frühstückstasse, haben aber keine Ahnung, wo es herkommt bzw. wie es angebaut wird. Ich kannte es vorher jedenfalls nicht. Mit Manuela de Rocco habe ich nun die letzten zwei Wochen eine Reportage darüber gemacht. Mit Kamera und Mikrofon bewaffnet haben wir Montero und alles, was mit Tourismus und Fairtrade zu tun hat, gefilmt und interviewt. Es hat sehr viel Spaß gemacht und wir haben vieles festgehalten und erlebt! Am Amüsantesten und zugleich Gewöhnungsbedürftigsten war dabei wohl unsere Hausspinne. Sie lebt eigentlich im Dach der Herberge, aber jeden Abend, wenn es dunkel wird, kommt sie raus, platziert sich an die gleiche Stelle an der Wand und wartet auf Beute. Sie ist groß, hat lange schwarze Beine und ist so weit oben, dass kein Schuh dran kommt. Wir haben sie Raymunda genannt. Alejandro sagte mir, dass die Spinnen nachts rauskommen und Leuten das Gesicht ablecken, wenn diese sich nicht gewaschen haben. Manuela fand die Geschichte nicht ganz so witzig wie ich… Ich glaube, dass es eine schön
e Eltern-Erziehungs-Geschichte ist, damit die Kinder auch brav duschen und sich die Zähne putzen. So was wie bei uns in der Art: „Wenn du dein Essen nicht auf isst, gibt es morgen schlechtes Wetter“!
Über das Wetter müssen wir uns mittlerweile keine Gedanken machen. Der Regen hat aufgehört und das Wetter verspricht zurzeit viel Sonne und Wärme…auch wenn die Peruaner immer noch davon überzeugt sind, dass es doch Winter und recht frisch sei. Aber abwarten, Experten prophezeien für 2012 ein Niño-Jahr…mehr dazu ein anderes Mal.
Nun denn, viele Grüße aus dem für mich sehr warmen PeruJ!
Hasta luego!